Psychologie der Veränderung

 

„Change management“, also die Gestaltung von Veränderungen ist in aller Munde und gewinnt zunehmend an Popularität. Google liefert binnen 0,33 Sekunden dazu 22.220.000 Ergebnisse und hört man sich in Unternehmen um, dann zeigen insbesondere die Veränderungs-Initiatoren großes Interesse an Rezepten und Wegen (am liebsten noch an einem Wundermittel), wie man wirtschaftlich notwendige Veränderungen am schnellsten umsetzen kann.

Herzlich willkommen sind mir an dieser Stelle die Skeptiker, die hinter Veränderungsberatung die nächste lukrative Abzocke vermuten, schließlich gab es Veränderungen schon immer und das war ja bisher auch kein so prominentes Problem, das man nicht in den Griff bekommen hat.

Stimmt. Veränderungen gab es, solange der Mensch existiert. Selbst der aufrechte Gang wurde nicht von Anfang an praktiziert sondern kam erst später in Mode.

Was Veränderung heut nur so populär macht (und das zurecht), ist zum Einen die zunehmende Komplexität von Veränderungen und zum Anderen dessen Geschwindigkeit in der sich Menschen in Unternehmen an das Neue, Unbekannte anpassen sollen.

Die Konsequenz von suboptimal eingeleiteten Veränderungen ist Widerstand. Widerstand zieht Aufmerksamkeit auf sich, denn er vermittelt Dringlichkeit und Wichtigkeit zugleich. Das ist vergleichbar mit einem Nicht-Leister in einem Team – dem wird (zum Leidwesen der anderen strebsamen Teammitglieder) viel mehr Aufmerksamkeit in Form von Zeit der Führungskraft gewidmet um ihn „auf Trab“ zu bringen, als den Menschen und Dingen, die reibungslos und gut funktionieren.

Widerstand in Veränderungsprozessen klingt häufig so:

prinzipiell dagegen?„Früher ging es doch auch gut. Ich wüsste nicht, warum ich was anders machen sollte”

„Das kann ja nichts werden. Das mach ich nicht mit!.”

„Mich hat keiner gefragt. Und so lange mach ich genau das, wofür ich hier bezahlt werde!”

„Ja, ja. Das ist doch nur die nächste Sau die durchs Dorfe getrieben wird. Mich kriegt ihr damit nicht!“

Erlebt nun eine Führungskraft Widerstand gegen eine von oben oder eigens initiierte Veränderung, ist die typische Reaktion gegen an zu gehen und zu versuchen, mit logischen und rationalen Argumenten zu überzeugen. Der Versuch scheitert meist, so sehr der Vorgesetzte sich da auch bemüht. Diese negative Erfahrung bleibt beiden Parteien sicher lebhaft in Erinnerung, so dass die Führungskraft bei der nächsten Veränderung denkt  „Puhh, das wird doch wieder so´n Krampf“ und der Mitarbeiter hat ja nun gelernt wie er die Veränderung seiner Arbeit vermeidet und schaltet wieder auf Stur. Schnell hat keiner mehr „Bock auf Veränderung“ –zum Schaden der Firma die, wenn sie sich nicht an Markt-& Kundenanforderungen anpassen kann, nicht bestehen wird im Vergleich zur Chamäleon-artigen Konkurrenz.

„PEOPLE DON´T RESIST CHANGE – THEY RESIST BEING CHANGED“ (Peter Senge)

Wenn Sie nun erwarten oder befürchten das alles, was Sie bisher so in Veränderungsprozessen gemacht haben abschaffen oder umstellen zu müssen, dann kann ich Sie beruhigen: Ihre bisherige Mühe und Arbeit hat sicherlich weiter Bestand und kommt zum Einsatz. Ebenso wahrscheinlich ist aber, dass Sie noch ein-zwei Puzzlestücke hinzufügen müssen, damit der Wandel klappt.
In diesem Artikel werden wir nicht den vollumfänglichen Veränderungsprozess beleuchten können, aber zwei Wesentliche Einflussfaktoren, die (soweit meine praktische Beratungs-& Trainingserfahrung) unwissentlich ignoriert werden und allein durch das Bewusstwerden künftige Veränderungen erfolgreich gestaltbar machen.

 

Fangen wir mal ganz vorne an: Woher kommt eine Veränderung, ein Veränderungsbedarf?

Beispielsweise erkennt ein Produktionsleiter dass das bisher händisch abgewickelte Zu-& Beliefern, also die Lieferkette ein Nadelöhr ist, weil es durch dessen Menschlichkeit und Zettelwirtschaft fehleranfällig ist. Er überlegt, dass, wenn das weiter so praktiziert wird, Kunden nicht zum vereinbarten Termin die bestellten Waren erhalten und bei hoher Unzufriedenheit zur Konkurrenz abwandern könnten. Außerdem fordert eine neu eingeführte ISO-Norm eine Dokumentation in der Lieferkette, die bis dato in der erforderlichen Form und Umfang mit dem bisherigen Prozess nicht darstellbar ist. Es muss also ein neues „Supply Chain Management“ her. Gedacht, getan, also macht sich der Produktionsleiter schlau, wie man fehlerfrei, dokumentierbar, womöglich billiger und schneller Abhilfe schaffen kann. Er wird in Form einer neuen Softwareanwendung fündig, wägt ab, ob damit alle Anforderungen abgedeckt und sogar noch andere, zukunftsweisende Vereinfachungen eingeleitet werden können und entscheidet sich, erleichtert und voller Vorfreude für den neuen Problem-Beheber. Die Softwarefirma wird beauftragt alles einzurichten, um alsbald möglich mit der Wunderwaffe beginnen zu können. Analyse, Anpassung der Software auf die speziellen Bedürfnisse und Begebenheiten sind schnell gemacht, die notwendigen Gerätschaften besorgt und installiert, so dass der Startschuss fallen kann. Während dessen hat der Produktionsleiter mit den Mitarbeitern gesprochen und ihnen erklärt, welche Probleme man mit dem alten Handling hatte, was die neue Lieferkette alles abdeckt, wie toll die funktioniert, was dessen Vorteile auch in der Zukunft sind und was genau also zu tun ist, wenn man umstellt.

 

Bis hierhin können Sie den Prozess der Entstehung von Veränderungsbedarf auf (fast) alle Veränderungen verallgemeinern:

Aktuelles oder zukünftiges Problem / Unvereinbarkeit wird von jemandem erkannt, er sucht eine Lösung, findet diese, holt sich das „go“ und führt ein. Technik und Mensch werden dann parallel auf die künftige Arbeitsweise vorbereitet und installiert. Da diese Initiative ein einmaliges Ergebnis hat, Qualitativen Anspruch und zeitlich limitiert ist, kann man hier auch von einem Projekt sprechen.

Ergebnis: Die Technik steht zum Startschuss bereit, der Mensch verschränkt die Arme/ Rollt mit den Augen oder ist gar nicht zu sehen.

Der Projektleiter ist (verständlicher Weise) an dieser Stelle frustriert und irritiert, wenn nicht sogar wütend und hilflos. Schließlich hat er doch alle Beteiligten „ins Boot geholt“ indem er erklärt hat „Warum“ und „Wozu“ eine Veränderung passieren muss. Er hat aufwendige Präsentationen und Info-Blätter erstellt, die klar und deutlich aufzeigen wie man in Zukunft (aufgestellt) ist, und was das alles für Vorteile hat. Sogar Gespräche mit Einzelnen hat er geführt.

Wenn Sie sich darin wieder finden, habe ich eine gute Nachricht: Ihre Informations-& Aktivierungsmaßnahmen sind alle gut und notwendig – bitte schmeißen Sie das nicht weg!

Bei der Initiierung von Veränderungen, und das übersieht man gern als derjenige, der eine Lösung gefunden hat, gibt es zwei wesentliche Punkte, die zum erfolgreichen Wandel beitragen. 

Zwei wesentliche Überlegungen und Aktivitäten, die es bei der Initiierung von Veränderungsprozessen zu bedenken gibt:

  1. Menschen springen nicht einfach aus dem Hier & Jetzt in die Zukunft. Sondern bildlich sind sie noch mit dem was bisher war Denn das haben die sich (teilweise mühsam) aufgebaut, was sie heute können. Um in einer Komfort-Zone zu agieren, braucht es Übung. Man kann nicht einfach so Sachen, sondern die lernt man. Zunächst wird versucht zu verstehen, dann probiert man vorsichtig, erfreut sich an kleinen Fortschritten, tastet sich weiter voran, ggf. auch mit kleinen Rückschlägen, steht wieder auf, probiert wieder, verbessert sich in Teilprozessen bis man eines Tages Herr der Lage ist und Kompetenz (Fähigkeiten/ Fertigkeiten) aufgebaut hat. Wenn man Glück hat und einen Tätigkeitsbereich lange genug beackern kann, geht davon vieles in Routinen über, die nicht mehr so viel Hirnschmalz / bewusste Verarbeitungsenergie benötigt. Darin ist man gut oder sogar Experte. Darin weiß man, was man tun muss, um Erfolge und Zufriedenheit zu erzielen. Darin fühlt man sich sicher.

    Mit Ihrem Veränderungsvorhaben gefährden Sie diese Komfort-Zone! Wenn Sie nur aufzeigen, was für Vorteile die schillernde Zukunft hat, ignorieren sie das Bewährte, das Beherrschbare, das dicke Eis unter den Füßen von denen die sie mitziehen wollen. Und die Komfort-Bande ist so viel stärker als die, die noch im Aufbau begriffen ist.

  2. Während der Gewöhnung oder Anpassung an unbekannte Umstände und Anforderungen sehen Menschen nicht nur Vor-&Nachteile von Veränderungen. Klar ist, das kann sich auch jeder mal im privaten vorstellen, dass beispielsweise das Streichen der Wohnung /eine Mitgliedschaft im Fitnessclub/ Autokauf/ Ernährungsumstellung / Rauchentwöhnung/ „Handy aus“ am Wochenende/ Anschaffung eines Haustiers usw. immer mindestens einen Vorteil hat (sonst würde man die Veränderung gar nicht erst erwägen) und ebenso Nachteile. Nehmen Sie sich doch mal ein Beispiel (privat/beruflich), tragen das bei „Vorhaben XYZ“ ein und füllen die beiden Felder aus:
    Psychologie der Veränderung: Pro und Kontra in einer Tabelle
    Diese einfache Kosten-Nutzen-Überlegung ist aber nicht das Ende der Fahnenstange!

    Ein Vorhaben bzw. das Umsetzen eines Vorhabens hat nicht nur Vorteile & Nachteile. Jedes Vorhaben eröffnet auch die Möglichkeit das Vorhaben nicht anzugehen. Und diese Alternative hat ebenfalls Vor-& Nachteile (die nicht mit den Vor-&Nachteilen der Veränderung übereinstimmen).

    Verwirrend? Dann erinnern Sie noch mal das Vorhaben, für das Sie die zwei Felder oben ausgefüllt haben und bilden davon das Gegenteil (Beispiel: „Mitgliedschaft im Fitnessclub“ wird jetzt „keine Mitgliedschaft abschließen“. Oder „Handy aus am Wochenende“ wird jetzt „Erreichbarkeit auch am Wochenende“. Oder Ernährungsumstellung wird „Ernähren so wie bisher“).

    Das tragen Sie nun wieder links ein und füllen beide Felder aus:
    Psychologie der Veränderung: Pro und Kontra in einer Tabelle

 

Wer an dieser Stelle ein plakatives Beispiel möchte, kann sich diesen fünf-minütigen englischen Clip anschauen: http://www.youtube.com/watch?v=hcz1aZ60k7w

 

Und in Verbindung mit Punkt 1 bedeutet das:

Die negativen Aspekte der Veränderung und die positiven Aspekte des Nicht-Veränderns bestärken zu bleiben wie man ist und zu tun, was man bisher getan hat– in der erwähnten Komfort-Zone. Und das ist die starke Bande von der ich in Punkt 1 berichtete. Ein „Drüberhinweggehen“ oder Ignorieren der Vergangenheit, der Mühe und dem Aufwand den jemand betrieben hat um verlässlich gut in etwas zu werden, sich also diese Komfort-Zone aufzubauen, muss zu Widerstand führen. So attraktiv auch das Ziel der Veränderung sein mag: Ohne eine Wertschätzung des Bisherigen, der Vergangenheit, wird sich niemand davon trennen! Dabei reicht in den meisten Fällen ein bewusst machen der vier Felder und ein ebenso bewusstes Abwägen.

Der Projektleiter in meinem Lieferkettenbeispiel hat dieses „Verabschieden dessen was bisher war“ für sich selber auch durchlaufen, vergisst aber, dass sein Standpunkt- bzw. Ort, nicht der von Mitarbeitern ist.

Ein offener Dialog über die vier Felder (verwenden Sie dazu gerne meine Vorlage) mit Ihren Mitarbeitern wird ganz bestimmt Erstaunliches und Unvermutetes zu Tage bringen über die Motivation sich nicht-/ zu verändern. Erst wenn Sie die Ängste und Unsicherheiten, Antreiber und Bremsklötze, Krücken (oups, ich meine natürlich die Unterarmgehhilfen) und unterstützende Elemente bewusst, ausgesprochen und damit „auf dem Tisch haben“ können Sie beginnen Gegengewichte zu den bisherigen Stolperfallen zu erarbeiten und anzubieten um Sicherheit und Wohlwollen zu stiften. Wenn Sie soweit sind, hier noch ein paar Tipps, damit Veränderung klappt:

    • Machen Sie es Ihren Mitarbeitern unbequem im alten Muster zu verharren: Kommunizieren Sie die Gefahr des Stillstandes!
    • Bedenken Sie, dass Ihre Sichtweise und Ihr Tempo nicht das der „Mitfahrer ist“: Erklären / Argumentieren Sie wenn möglich aus deren Perspektive!
    • Seien Sie in Ihren Vorhaben und Vorgehen so Transparenz als möglich – nichts ist interessanter und stiftet mehr Unruhe als Gerüchte!
    • Minimieren Sie existente Unsicherheiten: Vereinbaren Sie Regelmäßigkeiten, Schulungen, Austausch, Informationen über den Fortschrit!
    • Feiern Sie Erfolge – seien es kleine Schritte im Prozess oder Meilensteine!

 

Artikel als PDF zum Download

Psychologie der Veränderung – Anne Maike Winter